Ein typisch bayerischer Vorzeigeort ist Seeon, eingebettet in einer herrlichen Landschaft mit See, Insel und Kloster. Alle Attribute, die Bayern auszeichnen finden sich hier in diesem romantisch anmutenden Ferienort wieder. Allzu gerne spazierten wir mit unseren Kindern rund um den See, besuchten anschließend die Inselgaststätte und das mittelalterlich Münster mit Klosterwandelgang.
Hier zu wohnen ist ein Privileg, erst recht an der Weinbergstraße, die sich am Hang in erhöhter Lage am Ufer entlang zieht und einen atemberaubenden Blick über den See zur Klosterinsel und in weiterer Entfernung auf die Alpenkette freigibt. Wie der Zufall es wollte erklärte mir auf mein neugieriges Nachfragen tatsächlich ein Hauseigentümer seine Verkaufsabsichten. Er hatte bereits die Grundlagen zur Aufteilung in drei Wohnungen fast perfekt angelegt, so dass ich mich gründlich damit befassen konnte, den heutigen Wohnkomfort einzuplanen (beheizt wurde vormals mit Kohleöfen) und nach Kauf und erteilter Baugenehmigung auch entwurfsbezogen umzusetzen. Durch die Hanglage des Anwesens, war eine geschossweisen Erweiterungen in Hügelrichtung machbar. Das hatte zur Folge, dass entgegen aller Regel von unten nach oben die Wohnfläche zunahm: die üblicherweise reduzierte Wohnfläche im Dachgeschoß stellte hier die flächenmäßig größte Wohnung dar, das Obergeschoß hatte eine noch immer üppige Größe, nur das Erdgeschoß war schon deutlich eingeschränkter.
Alle Wohnungen bekamen Fußbodenheizung, und neue Ausstattungen: Bäder, Fenster, Innenputz, Elektro- und Sanitärinstallationen. Das ohnehin schon große Dachgeschoß erhielt einen Sichtdachstuhl mit ausgebauten Spitzboden.
Meinen obigen Ausführungen folgend vermittelt dem Leser den Eindruck eines „gemütlich dahinplätschernden“ Sanierungsvorgangs. Die Wirklichkeit war damals aber alles andere als das: Im Kaufpreis eingeschlossen war die Vereinbarung, eine 94 Jahre zählende Dame bis zu Ihrem Ableben im Haus wohnen zu lassen. Sie bewohnte das Obergeschoß, so dass um sie herum gebaut werden mußte. Glücklicherweise nahm sie gelassen alle Beeinträchtigungen stillschweigend hin. Als Erdgeschoß und Dachgeschoß fertig gestellt waren, zeigte ich ihr die ebenerdige kleine Wohnung: Eine angenehm warme Atmosphäre empfing die Hochbetagte, sie roch die Farbe und den frischen Verputz der Wände, sie sah und fühlte den warmen Cottoboden, die hellen, frischen Räume mit glänzenden Messingtürgriffen an neuen profilierten Türen, die bis zur Decke mit handgeformten Fliesen ausgelegten Wände im Bade-zimmer mit Dusche, Waschbecken, Wanne, selbst die Küche war an Gemutlichkeit nicht zu übertreffen. Ich spürte ihre Ergriffenheit als sie sich zu mir im strengen Ton wandte: „Hier zieh' ich sofort ein!“ - Und so geschah es dann auch und ich konnte den Umbau des Obergeschosses erleichtert gleich im Anschluß zügig beginnen.
Es war im freiwerdenden Obergeschoß angesagt, Großzügigkeit zu erzeugen: Innenwände wurden entfernt und in den Außenwänden -dem Vorbild entsprechend- neue im Sturzbereich gebogene Fenster einzusetzen, kurz; es entstand die „Bell Etage“, erreichbar durch eine eiserne großzügige Wendeltreppe. Das der zum Hang gewandte keilförmige Geschossteil zur Unterbringung der Haustechnik inklusive Elektroraum genutzt wurde, war für alle Handwerker am Bau ein Novum, und nur dank deren hilfreichen Rat machbar: trotz der herrschenden Enge schafften sie es, dort auch noch den Öllagerraum unterzubringen!
Jedes Mal, wenn ich aus Prien kommend den Bauleitungsaufgaben nachkam, beschlich mich das Gefühl der Sehnsucht selbst hier zu wohnen. Doch das sollte anderen vorbehalten sein, hier ihr Glück und ihre Zufriedenheit zu finden, ich mußte es für meinen Teil schaffen los zu lassen.