Der langgestreckte Baukörper entwickelte sich in Folge seiner über 3 Jahrhunderte andauernden Entwicklungsgeschichte vom Bauernhof zu einem reinem Wohnhaus, real geteilt auf 2 Eigentümer. Der straßenseitige nach Osten ausgerichtete Baukörper erfuhr mehrere Überformungen, aus verschiedenen Nutzungsabsichten. Im frühen 19. Jahrhundert war hier die Aschauer Landpolizeistelle mit Gefängnis untergebracht, danach wandelte ein Gemüsehändler die Fassadenansicht mit dem Einbau eines Ladenschaufensters unvorteilhaft um. Zuletzt nahm sich ein Taxiunternehmer des Hauses an, veränderte den Bestand jedoch nicht weiter. Einzig die verzierten gusseisernen Balkonbrüstungen blieben aus der Entstehungszeit unbeschadet erhalten.
Doch es schien nicht verkäuflich zu sein, wegen der Feuchtigkeitsprobleme zur Straße: Bis zum Fenstersturz des Erdgeschosses löste sich der Putz ab, verursacht durch aufsteigende Nässe im Mauerwerk. Eine endgültige Lösung war nicht abzusehen, das Haus schien dem Verfall preisgegeben zu sein und das in diesem aufstrebenden Ort der Voralpen: gerade hatte der Sternekoch Heinz Winkler sein Restaurant gegenüber der Dorfkirche in der ehemaligen Gaststätte zur Post eröffnet und verlieh dem Ort einen hohen Bekanntheitsgrad. Seine Gäste fuhren an dem abstoßend wirkenden „Schandfleck“ Aschaus vorbei. Die Erleichterung in der Gemeinde war groß, als bekannt wurde, dass der Eigentümerwechsel kurz bevorstand.
In meiner Baugenehmigung wagte ich einen Entwurf, der das Treppenhaus ca. 3 Meter vor der Seitenfassade stellte, wiederum sehr zum Gewinn der Raumaufteilung im Inneren des Hauses, jedoch nur durch eine Vordachverbindung zum Garagenbau aufgelockert, ansonsten nicht gerade attraktiv. Was war ich dennoch erleichtert, als ich erfuhr, dass die Gemeinde und nachfolgend das Landratsamt den Bauantrag ohne Änderungen genehmigte!
So wurde nach Ausschreibung und Vergabe gleich mit dem Umbau begonnen, der sich mit Bauunternehmer, Zimmereibetrieb und Haustechnikfirma zügig gestaltete. Für den Innenputz konnte ich einen Handwerker gewinnen, der ganz alleine das gesamte Gebäude von innen komplett verputzte. Dieser Großauftrag verhalf ihn zur Gründung seiner eigenen Verputzerfirma. Erstmals verzichtete ich darauf, Eckschutzschienen einzubauen und ließ alle Kanten und Fensterleibungsecken abgerundet einputzen. Auch schien es mir nicht passend, nach DIN-Normen beim Innenputz zu arbeiten, so wurde meinerseits auch leicht welliger Verputz akzeptiert, was sich später als Gewinn herausstellte: die Wirkung war dem Haus „auf dem Leib geschnitten“!
Die Holzbalkendecken konnten erhalten bleiben, der Bodenaufbau folgte in seiner Konstruktion dem Verfahren meiner Vorgängerbauten, einzig im Dachgeschoß wurde der Heizestrich doppelt aufgebracht, da der schiefe Boden begradigt werden mußte.
Die Fassade zur Straße wurde so hergerichtet, wie sie einst ursprünglich gebaut wurde, das Dach wurde bis auf das alte Tragwerk komplett erneuert mit wohlgeformten Wind- und Pfettenkopfzierbrettern.
Für das Feuchteproblem ließ ich mich von meinem Statiker inspirieren, der mir den Tipp gab, es mit einer hinterlüfteten Vorsatzschale zu versuchen. Dieser Rat wurde beginnend an Unterkante Fundament bis auf Brüstungshöhe aufgegriffen und löste auf natürliche Weise ohne Chemie und dauerhaft einsetzenden Strom das Problem nachhaltig. Ich hatte einen ekelhaften Hausmangel in seiner Wirkungsweise besiegt, ohne seine Ursache zu beseitigen. Diese Technik wurde Vorbild für weitere Projekte mit ähnlichen Problemen.
Kapillar aufsteigende Feuchtigkeit ist bei den sehr dicken Fundamten aus einem Gemisch von Felsenbruchstücken und Bummerln (= abgerundete, große Flußkieselbrocken) mechanisch nicht machbar, in dem mittels ins Mauerwerk getrieben Stahlplatten eine nachträgliche Horizontalabdichtung erreicht werden soll. Einzig Unterfangungen mit Betonsteinen bieten sich als sehr teure, gewagte (da rissegefährdet) Alternative an.
Im Laufe meiner intensiven Auseinandersetzung und Beschäftigung als Architekt und Bauherr zugleich mit Bauproblemen, dem Umgang mit Handwerkern, Gerichten, Banken und Behörden, erlebte ich verständlicherweise überwiegend viel Freude an der gekonnten Umsetzung meiner Ideen, an unerwartetem Entgegenkommen, an Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit und Respekt. In der Erinnerung nehmen jene Erlebnisse eine unvergeßliche Position ein, die wie „der Blitz einschlugen“ unerwartet und zugleich herzlichst erfrischend. Lassen Sie mich von so einem Ereignis berichten:
Die Gemeinde Aschau vergibt jedes Jahr den Fassadenpreis für besonders gelungene Sanierungen, Neu- und Umbauten. Man bat mich zu diesem offiziellen Termin nach Fertigstellung dieses oben beschriebenen Objektes zu kommen. Ohne Erwartungsanspruch folgte ich der Einladung. Es waren viele Bürger gekommen, auch der gesamte Gemeinderat war anwesend. Gleich beim Betreten des Saals erkannte ich die Fassadenansicht meines Hauses auf einem altarmäßig aufbereiteten Podest. Man bedachte mich neben zwei weiteren Bauherrn mit der anerkennenden Auszeichnung des Fassadenpreises, der zudem noch mit einem beachtlichen Geldbetrag unterlegt war.
Ich kann mich nicht mehr an die Lobrede des damaligen Bürgermeisters erinnern, jedoch werde ich nie vergessen, mit welchen Worten er einen meiner Mitgewinner bedachte, die ungefähr so lauteten: „… anerkennend darf ich erwähnen, dass dieser Bauherr alles, wirklich alles an seinem wunderbar renovierten Haus selbst gemacht hat – ja sogar die Baugenehmigung hat er sich selbst erteilt...“ johlendes Gelächter, tosender Applaus.
Sicherheitshalber war der Selbstbauer nicht anwesend und hatte seine Frau zum Festakt vorgeschickt...