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10. Mehrfamilienhaus Trautersdorfer Hof / in Prien am Chiemsee

Denkmalschutzobjekt

von 02/1996 bis 04/1997

Eine Jugenstilvilla – und was für eine: An der ehemaligen Priener Ortseinfahrt gelegen, über-ragen unverkennbar 2 Turmspitzen die Umgebung. Die völlig untypische städtische Bauweise des Jugendstilobjekts hat hier auf dem Lande schon seit jeher Aufsehen erregt. So ist es bis heute geblieben: Die symmetrisch angelegte Hauptansicht zur Straße zeigt eine imposant hoch aufragende Villa mit hölzernen Zierbalkonen, die sich über 2 Etagen bis hinein zum Dachüberstand hoch ziehen. Die Bausubstanz war -der Entstehungszeit entsprechend- sehr gut (es gab keine aufsteigende Feuchtigkeit) und die Fassaden waren lediglich neu auszubessern und zu überstreichen.
Die mit Blech verkleideten markanten Turmspitzen wurden vorbildlich gegen Kupfer ausgetauscht. Selbst hier ergab das Freilegen der Hauben eine völlig morsche Unterkonstruktion. Auch das mußte erstmal professionell hergerichtet werden.

Der aus dem Boden ragende Keller ist vollständig aus Beton und bildete mit seinen Gewölbedecken eine sehr solide, trockene und tragfähige Grundlage für den weiteren Innenausbau. Im Hausinneren sah es dann schon anders aus: Alle Balkenlagen im Haus zeigten die Neigung zum Durchbiegen, folglich wurden sie vom Ballast der Innenwände befreit und mit bodengleichen Stahlträgern unterstützt. Jede weitere neue Wand wurde stets auf deckenintegrierte Stahlprofilträger gesetzt. Ebenso verfahren wurde mit den hohen Punktlasten der gemauerten Öfen mit Sichtfenstern, alles nur, um die Balkendecken statisch korrekt zu erhalten. Der Schallschutz in den Decken wurde hergerichtet -wie bereits bei Vorgängerbauten erprobt- mit Blähtonverfüllungen, um den Resonanzeffekt im Zwischenboden zu dämpfen. Der Einbau der Fußbodenheizung auf allen Etagen war obligatorisch, selbstverständlich auch die völlige Neukonzeption der Bäder- und Küchenpositionen im Grundriss und deren Ver- und Entsorgungsleitungsschächten. Nicht zu vergessen die zahlreichen, doppelflügeligen Fenster mit Oberlichtern, die nun erstmals mit Isolierglasscheiben ausgestattet waren.
Der Reiz der Innenräume war jedoch die Wiederverwendung vorgefundener Originalbauteile, wo immer sich die Gelegenheit dazu bot. Ich weiß nur zu gut, dass bei Wohnungsbesichtigungen das vorentscheidende Bauchgefühl nur dann zu gewinnen ist, wenn an passender Stelle „Eykatcher“ positioniert sind: Ehemalige Außenfenster bilden die Öffnungsflügel zu verspiegelten und beleuchteten Vitrinen oder gestatten den Durchblick als Raum-zu-Raum Fenster, wie auch verglaste Zwischentüren im Flurbereich. Mit Geschick (und geringer Investition) lassen sich auch neue Türumkleidungen zu ausdrucksstärkerem Ambiente verwandeln, wenn sie mit schlichten Profilleisten umrahmend der attraktiven Umgebung angepaßt werden.
Von beiden Erdgeschoßwohnungen ließ ich Wendeltreppen in den Keller einsetzen, um die dortigen Flächen auszunutzen. Zusätzliche Fenster wurden in die starken Betonwände mühsamst gebrochen, so dass in den Gewölberäumen wohnähnliche Bedingungen geschaffen wurden, ergänzt durch den zusätzlichen Badezimmereinbau, der Fußbodenheizung und einem gesonderten Ausgang in den Kellerflur. Das alles allerdings eine zweifelhafte Investition, wegen der preislich geminderten Anrechnung der Wohnflächen nur als Nutzfläche, da Kellerlage.
Immerhin waren im Haus 6 Wohnungen unterschiedlichster Größe herstellbar, was verkaufsstrategisch von enormen Vorteil ist, salopp gesagt: „Jeder Geldbeutel war bedienbar“.

Jede Bauaufgabe bringt jede Menge neue Erfahrungen mit sich, so auch hier geschehen, 2 davon möchte ich anfügen:
Vor dem Kauf setzt sich die Phase der Abtastung aller möglichen Ausbauvarianten. Dabei entlarvt das Gebäude seine Nachteile, wie hier die anfangs als unvorteilhaft empfundene Lage des Treppenhauses, asymmetrisch zum Grundriß. Dazu auch noch an der attraktiven Südseite! Folglich beabsichtigte ich die Umsetzung des Hauszugangs samt Treppenhaus nach Norden, mittig in die Fassade. Der für Denkmalschutzangelegenheiten zuständige Beamte war derart entsetzt, dass er seine Empörung kaum verbergen konnte. Er kannte das denkmalgeschützte Anwesen mit seinem hölzernen breiten Treppenhaus, das den besonderen Denkmalwert ausmachte und durchschaute meine aus rein kommerzieller Motivation begründete Planungsabsicht sofort. Ich hingegen war verletzt über die Ablehnung meines als genial empfundenen Entwurfs und bemerkte spontan: „... dann kauf ich es eben nicht“, und verließ verärgert das Amt. Im Büro angekommen, machte ich mich dann doch noch mal an die Arbeit eines weiteren „angepassten“ Entwurfs und stellte nach Durchkalkulation der neuen Umbaukosten eine wesentlich bessere Gewinnaussicht fest. Wenn ich heute daran zurückdenke, empfinde ich Dankbarkeit und Demut vor dem Verfechter des reinen Denkmalschutzanliegens, der mein Vorhaben so barsch zurückwies und mich auf die einzig „richtige Spur“ brachte.

Eine andere Begebenheit ereignete sich hoch oben auf dem Gerüst stehend, gemeinsam mit einem Kollegen des vorbenannten Denkmalschutzbeauftragten. Wir schauten uns die mühsam mit dem Scalpel freigelegten Anstrichschichten der Fassade an. Was sich als unterste der 7 Schichten entlarvte, entsprach nicht im Entferntesten meiner Vorstellung vom finalen Anstrich des Objektes. Ich war mehr als entsetzt und brachte meine eigene Vision vom Objekt vor, erzählte von meinen Träumen, in denen ich jedes Detail Stück für Stück durchgegangen bin und nur noch so und keines Falls anders verwirklicht sehen möchte. Ich wandte mich schon fast flehend um und sah seine Ergriffenheit in seinen Augen. Hin und her gerissen zwischen seiner Überzeugung und meiner Wunschvorstellung, hörte ich die erlösenden, fast schon trotzigen Worte ihn sagen: „... dann machen Sie doch, was Sie wollen!!!“, drehte sich um und kletterte vom Gerüst.

Viele Jahre später lehrte mich die Erfahrung, dass Denkmalschutz keine Aufgabe der rigorosen Durchsetzung von vorgefassten Ansichten bedeutet, sondern sich als Wegbereiter einer Wiederbelebung fast schon aufgegebener Gebäude sieht. Unter Wahrung seltener, einmaliger, der jeweiligen Ursprungszeit entstammender Baukunst gilt es den Sprung in die Jetztzeit zu schaffen, ohne Vergangenes zu kopieren, sondern den heutigen Gestaltungswunsch bewußt ablesbar zu machen.

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