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11. Hofwirth zur Post in Marquartstein

Denkmalschutz

von 12/1997 bis 07/1999

Als das stattlichste Gebäude von Marquartstein direkt nach der Burg wurde der Hofwirth zur Post von der Regierung von Oberbayern eingestuft. Gleichzeitig widmete die Gemeinde das Hofwirth-Umfeld zum Sanierungsgebiet um. Somit waren die Voraussetzungen für Zuschüsse aus der Städtebauförderung erfüllt, der sogenannten Königsklasse der staatlichen finanziellen Unterstützung für herausragende Gebäude des Landkreises.

Dennoch es fand sich kein Investor, der die Sanierung wagte. Um das Gebäude vor dem endgültigen Verfall zu retten, entschloß sich die Gemeinde, das Objekt selbst zu erwerben. Man beauftragte eine Unterabteilung des Denkmalschutzamtes zu ermessen, wie der Bauzustand nun tatsächlich ist.
Nach einem Jahr intensiver Forschung stand das Ergebnis fest: Es war vernichtend. Rasch wurden provisorische Stützmaßnahmen zur Reduzierung der Einsturzgefahr vorgenommen, die Fenster wurden mit Brettern vernagelt und ein Bauzaun im sicheren Abstand aufgestellt. So blieb es dann weitere Jahre als Schandfleck der Unentschlossenheit, aus Furcht vor desaströsen Ausgaben und nicht zu kalkulierenden Risiken unberührt sich selbst überlassen. Es hieß eine zeitlang, die Gemeinde prüfe, ob der Bau eines neuen Rathauses hier machbar sei. Man dachte an einen Sitzungssaal im mächtigen Dachgeschoß des Anwesens. Der Gemeinderat rückte dann aber doch von diesem Vorhaben ab und baute sein neues Rathaus auf der gegenüberliegenden Achenseite, der mehr dem Gemeindemittelpunkt zugewandten Seite.

Dem damaligen Bürgermeister hatte ich gerade mein fertig gestelltes Sanierungsvorhaben im Oberen Mühlfeldweg gezeigt und fuhr mit ihm im Auto am Hofwirth vorbei. Er bemerkte nebenbei, dass ich auch noch dieses Objekt umbauen könne, es genieße den bevorzugten Status der Städtebauförderung.
Neugierig geworden, berichtete er mir im Rathaus mehr und ausführlich davon. Er legte mir die verformungsgerechten Aufmaßpläne vor und erzählte von der wechselvollen Geschichte des Hofwirths, der vielen Versuche immer wieder neuer Gastwirtsfamilien aus der ehemaligen Poststation ihren jeweiligen Lebensunterhalt zu verdienen. Johann Strauß war hier zu Gast, im Krieg als Lazarett und spätere Notschule, dann eine kurze Glanzzeit dank Einbau eine Tanzsaals, zuletzt eine berüchtigte Spielhölle, dann schließlich Diskothek: Alle Besitzer zogen ihren vermeintlichen Nutzen heraus, keiner wollte die Anzeichen des Verfalls ernst nehmen: Das schwere Dach drückte die Fußpfetten aus ihrer Halterung, in Folge unbekümmerten Herausschneidens von horizontalen Zugbalken. Die ehemals geraden Auflager zeigten plötzlich eine bedrohliche Schieflage. Die Dachziegel verschoben sich und ließen den Regen eindringen, wichtige Tragkonstruktionen leideten durch die Feuchte, wurden morsch und weich und versagten ihren Dienst. Der drohende Einsturz stand am nordwestlichem Hauseck kurz bevor, das Dach begann sich zu verformen.

Als mein Interesse am Objekt bekannt wurde, meldete sich zu meiner Überraschung ein Konkurrent an. Die kurzfristig einberaumte öffentliche Gemeinderatssitzung sollte die Entscheidung zwischen uns bringen. Während ich mich begnügte, ein Entwurfsmodell zu basteln und meine grundrißliche Sanierungsabsicht in Overheadfolien darzustellen, präsentierte der Mitbewerber einen perfekt gezeichneten Bauplan seines Vorhabens. Zum Schluß seines routinierten Vortrags verteilte er Broschüren an die Gemeinderatsmitglieder und verwies auf seine erstellte Kostenkalkulation in der Manier eines Erfolgsmenschen, ganz im Gegensatz zu meinen zaghaften Visionen der Bestandserhaltung. In gedrückter Stimmung erwartete ich am nächsten Tag den Anruf des Bürgermeisters.

Mein Leben veränderte sich vollends. Ich lebte fast nur noch für das Gelingen des schwierigsten und waghalsigsten Vorhabens meiner Architektenlaufbahn. Längst schon hatte ich auf Drängen der Bank den Status des Privatbauherrn gewechselt mit jenem des Geschäftsführers meiner neugegründeten Bauträger GmbH. Die eingegangenen Verpflichtungen zum Erhalt der öffentlichen Förderung brachte die Auflagen mit sich, alle Bauleistungen öffentlich auszuschreiben.
Wie erschrocken war ich am Tag der öffentlichen Angebote-Eröffnung: Alle jene mir seit je her treu zur Seite gestandenen Firmen weit abgeschlagen „durch das Raster“ fallen zu sehen! Ich hatte fortan mit völlig unbekannten „Billig-Anbietern“ zu kämpfen. Rückblickend kann ich nur immer wieder feststellen, wie beschämend meine Vorurteile damals doch waren! Jeder einzelne Handwerker gab vom ersten Tag an sein Bestes. Ich spürte die gleiche Leidenschaft auch bei meinen neuen Handwerkern. Ich erlebte sogar bei Preisverhandlungen für unvermeidliche Folgeaufträge ein Entgegenkommen, wie ich es sonst nie erfahren habe. Jeder war bereit seinen Beitrag zum Gelingen unserer gemeinsam gewordenen Sache zu leisten! Natürlich gab es auch Rückschläge, wie so oft unter Menschen mit kaufmännisch kalkulierenden Absichten, aber es ging irgendwie beherzt weiter, selbst an den Wochenenden kamen sie hinzu und standen mir hilfreich zur Seite.
Mein Ziel war es, gleichzeitig mit den Außen- und Innenarbeiten fertig zu werden, denn erst die Verwandlung zum äußeren Schönen brachte die Bewunderung, nach der ich so gierte: Ich wollte um jeden Preis überzeugen um jenes Vertrauen einzulösen, das mir der Gemeinderat bei seiner Abstimmung mit nur einer Gegenstimme schenkte.

Wie konnte ich nur meinen Dank an alle Beteiligten zeigen, die ein derartig überzeugendes Endergebnis fertigbrachten? Der Einfall kam mir bei der Deckengestaltung des Ausschankraumes, der in der Mitte der Gaststätte liegt. Anstelle ein übliches Dekor an das erhalten gebliebene Gesims in der Deckenkehle anzubringen, ließ ich die Namen aller beteiligten Handwerker raumumlaufend aufmalen, drei Reihen waren dazu notwendig!

1 ½ Jahre dauerte die Sanierung, die eine intakte Gaststätte und 6 Wohnungen hervorbrachte und eine überzeugende Außengestaltung. Der Ausgangspunkt der Sanierung war schlimmer als der Zustand eines Neubau-Rohbaus. Zunächst mußte schadhaftes von gerade noch brauchbarem wie erhaltenswertem getrennt werden. Nach dem Abriß begann der Wiederaufbau: Die gesamte Sanitär-, die Elektroinstallation und die Haustechnik mußten geschickt in ihrem Verlauf eingebaut werden, getrennt nach 6 Wohneinheiten und 300 m² Gaststätte. 2 große Erdtanks für Gas und Öl wurden -heute nicht mehr erkennbar- parallel zur Hausrückseite hintereinander eingegraben. Die Fundamente rund ums Haus wurden trockengelegt und für die Zukunft im bewährten Vorsatzschalen-Belüftungssystem dauerhaft geschützt. Dabei stellte ich ein Kuriosum fest: 13 m Außenfassade hatten keine Fundamente! Also wurde hier unterfangen, aufwendig abschnittsweise, um typische nachfolgende Risse zu vermeiden. Bei dieser Gelegenheit wurde die gesamte Grundleitung der Dachentwässerung neu zu einem Sammelschacht verlegt, der 2 Meter im Durchmesser und 5 Meter in den Untergrund reichte. Alle Fenster wurden dem alten Vorbild entsprechend nachgebildet, neu in einer Schreinerei gezimmert. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie oft ich alleine wegen des Fensterentwurfs zwischen Schreinerei in Aying und Unterem Denkmalschutzamt in Traunstein hin und her gefahren bin, bis endlich die Pläne einerseits als herstellbar, anderseits zur Produktion freigegeben wurden. Ähnlich erging es mir mit den 4 Balkonanlagen der Wohnungen im Obergeschoß, sowie den 8 Schleppgauben im Dachgeschoß. Ich wollte unbedingt vermeiden, dass es zu teuren Änderungen auf der Baustelle kommt, was allerdings kaum möglich war. Stets mußte ein machbarer Kompromiss her, was nur mit viel guten Willen auf allen Seiten möglich war.
Neuland war für mich die recht komplizierte Infrastruktur der Gaststättenver- und -Entsorgung. Immer wieder wurde vor Leistungsverdeckung geprüft, ob Leitungen dicht waren und auch punktgenau dort ankamen, wo viel später der Gerätestandort war. 3 hochmoderne Kühlräume bildeten das Herzstück der Vorküche, nebenan folgte die Kochküche mit allen heutzutage üblichen Geräten für den Kochbedarf. In München erkundigte ich mich auf der Messe, was beim Einbau zu beachten war. Die entstehende Geräteabwärme wurde durch eine Unterboden Be- und Entlüftung getrennt von den Kochgerüchen entsorgt. Modernste Über-Kopf-Absauganlagen mit eigenem Fettabscheider, der zudem noch einen extra Auffangschacht im Außenbereich bekam. Die Stromversorgung der Küche und der Gasträume mit allen Sicherungen und raumweise dimmbarer Beleuchtungen war ein aufwendiges wie teures Thema. Ein großes Anliegen war mir als Nichtraucher die Frischluftversorgung der Gasträume, da zu dieser Zeit in den Gaststätten noch geraucht werden durfte. Die Technik mit allen Aufbereitungsgeräten mit Wärmetauscher-Anlage wurde dazu im Spitzboden schallisoliert untergebracht. Alleine das hat so viel gekostet wie ein Luxusauto.
Wer hat schon als Architekt die Gelegenheit, Gasträume ganz nach seinen geschmacklichen Vorstellungen auszustatten? Ja, es mag sein, dass ich hier etwas übertrieben habe, doch das Ergebnis gibt mir Recht: Die Gasträume suchen ihresgleichen in der Region, überzeugen Sie sich also am Besten einmal selbst!

Es gibt so vieles aus der Bauzeit bis zur Fertigstellung zu berichten, was eigentlich nie vergessen werden darf. Ich erzähle hier nur eine von vielen unvergeßlichen Begebenheiten:

Dem Stellenwert der Baumaßnahme entsprechend, kamen während der Bauzeit immer wieder Vertreter der Regierung von Oberbayern und der Direktor des Münchner Denkmalschutzamtes zu Besuch. Ein Treffen mit letzterem schildere ich hier:
Ich führte ihn durch das Gebäude. Er lies sich alles zeigen und erteilte manchen guten Rat. Bei der Außenbesichtigung standen wir vor der Nordfassade, der schlichteren Giebelseite als jene der Südseite. Ich bat ihn um die Erlaubnis, hier eine breite Malerei anbringen zu lassen, die eine tatsächlich zugetragene Geschichte aus der Vergangenheit des Gasthauses nacherzählt. Er zeigte sich von der Idee begeistert. Ich trat einen Schritt auf ihn zu und sagte leise: „Ich brauche da aber etwas von Ihnen“. „Was“, rief er empört, „Sie haben schon so viele Zuschüsse erhalten!“ „Nun ich hätte schon gerne etwas“ antwortete ich hartnäckig. „Jetzt reicht's aber wirklich!“ schrie er aus Zorn über mich. Ruhig antwortete ich: „Ich rede nicht von Geld, ich möchte was anderes von Ihnen.“-„Ja was denn?“ fragte er irritiert, doch nun gefasster. Ich deutete auf meine Kamera: „Ihr Gesicht, für eine der Figuren in der Malerei“ und zeigte auf den Szenenentwurf in meiner Hand. „Ja, das können Sie haben!“, war seine nun doch sehr entspannte Antwort. Ihm folgte der Bürgermeister, der Traunsteiner Landratsamt-Chef, der Vorsteher des Gemeindebauhofs, der Maler selbst und ganz im Eck meine drei Töchter. Allen Genannten eint die Bereitschaft zum Gelingen beizutragen, jeder auf seine Weise. Herzlichsten Dank!
Die über 11 m breite und 3 m hohe Wandmalerei zeigt eine Szene aus der Wirtsstube. Es fand eine Gerichtsverhandlung statt, einziger Ordnungspunkt war die Verhandlung der Wilderei. In der Bildmitte sitzt der angebliche Übeltäter in sich zusammen gesunken. Auf Wilderei stand in den von Hungersnöten und Armut begleiteten Zeiten damals der Tod. Doch der Wirt bürgte für ihn, er habe doch zur gegebenen Zeit in seiner Stube gesessen!
Mahnemd fügte der Maler unter dem Bild den Satz in schön gesetzter Schrift hinzu: „In diesem altherwürd'gen Haus, ging so mancher ein und aus – Nicht nur zur Jause und zum Zechen, man traf sich hier um Recht zu sprechen. Was letztlich gut und schlecht sein mag, entscheidet Gott am jüngsten Tag.“

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